Weihnachtsoratorium: Kantorei Gunzenhausen

Der Zauber des Einfachen
Weihnachtsoratorium Kirchenbesucher durften bei „Die Geburt Christi“ mitsingen. Freude bereitete der SMG-Kinderchor.

GUNZENHAUSEN – Im Begleitschreiben zur Aufführung bekennt Autor Caspar Wein, dass sich nur schwer erfassen lasse, „was dieses Werk dennoch so berührend macht“. Und meinte damit Heinrich von Herzogenbergs „Die Geburt Christi“, das 250 Besucher in der Gunzenhäuser Stadtkirche St. Marien jüngst dankbar als weihnachtliches Geschenk annahmen.
Worauf bezog der Experte seine unsicher, fast schwankend wirkende Bewertung? Vermutlich hatte er an den Einfluss von Friedrich Spitta gedacht. Der damals in Straßburg lehrende Theologie-Professor schuf als Auftraggeber die Textgrundlage, verbunden mit dem Wunsch, die Komposition ohne den ganz großen Oratorienapparat zu gestalten. Auch für kleinere Gemeinden sollte die technische Umsetzung möglich sein.
Ohne „Pauken und Trompeten“
Spittas Freund und Weggefährte, der österreichische Komponist Herzogenberg (1843 bis 1900), hielt sich nur bedingt an diese pragmatische Leitlinie. Zwar verzichtete der Meister auf „überbordende Emotionen“ und glanzvolle Effekte „mit Pauken und Trompeten“, dennoch verlieh er seinem Oratorium den Zauber des Einfachen.
Unter der Gesamtleitung von Kirchenmusikdirektor Bernhard Krikkay sorgten sechs Solisten, das erweiterte Ansbacher Kammerorchester, die Kantorei sowie ein aus mehr als 20 Mädchen und Buben zusammengesetzter Chor des Simon-Marius-Gymnasiums mit Max Pfahler an der Spitze für den kirchenmusikalischen Höhepunkt des Jahres.
Das Herzogenbergsche Werk besticht im Vergleich zu anderen Oratorien durch ein außergewöhnliches Arrangement und ganz spezifische Elemente. Vor allem die Einbeziehung der mitsingenden Gemeinde hebt die Distanz zwischen Protagonisten und Zuhörern nahezu auf. Es entwickelt sich das Bewusstsein des Miteinanders.
In drei großen Teilen mit jeweils aufeinander folgenden Verknüpfungen wird die frohe Botschaft von der Verheißung über die Erfüllung der eigentlichen Geburt bis zur Anbetung durch Engel und Hirten erzählt. Neben den prägenden Gemeindechorälen mit Orgelbegleitung berühren Solostücke, unterschiedlich gefasste Chorsätze, Kombinationen im Ensemble sowie der anspruchsvolle Part des durch die Handlung führenden Evangelisten die Herzen der Kirchenbesucher. Sakrale Musik in puristischem Gewand? Mitnichten, die Klarheit der Darbietung mindert keineswegs deren Qualität. Stilistisch kann das Werk durchaus dem Historismus zugeordnet werden. Stabiles, Bewährtes, Greifbares und somit Wertvolles in absolut kunstvoller Form – von Herzogenberg vereint gleich mehrere Epochen in seiner Komposition.
Hin- und hergerissen
Das Publikum ist hin- und hergerissen in seinen Gefühlen. Was erzeugt mehr Inspiration? Sind es die schwungvollen, in einigen Passagen volkstümlich und dabei sehr farbig gestalteten Lieder „Nun singet und seid froh“ und „Kommet ihr Hirten“, der traumhaft zarte Gesang der Engel in „O heiliges Kind“ oder vielleicht auch der prachtvolle Schlusschor „Also hat Gott die Welt geliebt“ in der Tradition Bachs, bei dem sich der volle Jubel um die vom Kinderchor gesungene Kernmelodie rankt?
Jeder gab sich vermutlich selbst die Antwort, auch hinsichtlich der Noten für die Vokal-Interpreten. Andrea Zeilinger (Sopran), Christine Mittermair (Alt), Maximilian Vogt, Carsten Haas (Tenor), Manuel Krauß, Christof Hartkopf (Bass) überzeugen im Sologesang sowie in wechselnder Besetzung. Individualität muss zugunsten des Gesamtklangs bisweilen zurückgenommen werden. Ein Spagat, den die Solisten ausgezeichnet bewältigen.
Ein Sonderlob gebührt dem Chor der Kantorei. Obwohl rein zahlenmäßig nicht optimal aufgestellt, verstehen es die Frauen und Männer, fließend-zarte Klangflächen wie jubelnde, bewegte Abschnitte umzusetzen. Durch sorgfältige dynamische Differenzierungen wird dem Kollektiv eine erhebliche Ausdruckskraft abverlangt. Das Ansbacher Kammerorchester meistert mitunter knifflige Anforderungen, Felix Beer (Oboe) sowie Thomas Greif (Harmonium) steuern das entsprechende Flair bei.
Hätte Heinrich von Herzogenberg die Möglichkeit gehabt, in der Altmühlstadt dem eigenen Opus beizuwohnen, wäre er begeistert gewesen. Ähnlich ergriffen wie einst bei der Uraufführung am 3. Adventssonntag 1894 in Straßburg, als er, wie er schrieb, „eine Stunde erlebte, deren sich kein noch so beliebter Konzertkomponist unserer Tage zu rühmen hätte!“ Und der Applaus wäre ihm gewiss leicht gefallen – so wie den weihnachtlich gestimmten Menschen in St. Marien.
VON ULI GRUBER, Altmühl-Bote, Gunzenhausen

© Quelle: Altmühl-Bote Gunzenhausen, Ausgabe 14. Dezember 2023 © Fotos: Horst Kuhn